Die Angst vor der inversen Zinskurve

Ende März war es soweit: In den USA notierten die Renditen für kurzlaufende Staatsanleihen genauso hoch bzw. leicht höher als die Renditen für langlaufende Staatsanleihen. Im Kapitalmarktkontext spricht man in diesen Fällen von einer „inversen“ Zinskurve. Gemessen wird dies üblicherweise an der Renditedifferenz von 2-jährigen zu 10-jährigen Staatsanleihen, manche Analysten betrachten jedoch auch die Differenz anderer Laufzeiten oder aber die Differenz des Leitzinses zu 10-jährigen Staatsanleihen. Die Besonderheit der inversen Zinskurve ist, dass jeder der letzten 10 Rezessionen in den USA eine inverse Zinskurve vorausging.

Droht nun eine Rezession in den USA?

Durch diesen Zusammenhang ist man natürlich schnell geneigt, der inversen Zinskurve eine enorm hohe „Prognosekraft“ zuzuschreiben. Allerdings lohnt sich ein Blick auf die Details. Wir haben nachfolgend für Sie das Verhältnis Rendite 10-jährige US-Staatsanleihe zu US-Leitzinsband in ausgewählten Perioden mitgebracht:

Quelle: fundstrat

In blau ist die Rendite 10-jähriger Staatsanleihen dargestellt, rot sind die US-Leitzinssätze und die Rezessionsphasen sind violett eingefärbt. Sie erkennen wohl auch ohne Zahlenkolonne schnell und mühelos: es hat mitunter Jahre gedauert, bis der inversen Zinskurve die Rezession folgte. Und es gab inverse Zinskurven im Jahr 1998, denen zunächst keine Rezession folgte. Unsere erste Folgerung lautet also: ruhig bleiben!

Nominale vs. reale Zinskurven

Nun legen wir unsere Analyse noch ein Stockwerk tiefer und betrachten die reale Zinskurve, also nominale Renditen abzüglich der Inflationserwartungen für die entsprechende Laufzeit. Dies sieht für den 28.03.2022 dann wie folgt aus:

Quelle: fundstrat

In den Jahren 2006 und 2019 – dies waren die letzten Phasen einer inversen Zinskurve – waren sowohl die nominalen Renditen als auch die realen Renditen invers. Doch dies ist derzeit nicht der Fall, da in Anbetracht der Auswirkungen des Konflikts in der Ukraine weiterhin von kurzfristig hohen und weiter steigenden, jedoch mittelfristig rückläufigen Inflationsdaten ausgegangen wird.

Unser Fazit

Historisch folgte einer inversen Zinskurve früher oder später eine Rezession. Und eine Rezession ist grundsätzlich die Voraussetzung für einen sogenannten „Bärenmarkt“, also einen Rückschlag an den Aktienbörsen von über 20%. Doch die inverse Zinskurve hat isoliert betrachtet keine Prognosekraft und eignet sich nicht für die taktische Steuerung eines Portfolios. Zumal im Moment eine hohe Differenz zwischen realer und nominaler Zinskurve vorherrscht. Die Aktienmärkte kämpfen gerade gegen viele Gegner: steigende Kapitalmarktzinsen, steigende Rohstoffpreise, restriktive Notenbanken und bald wieder gegen die Saisonalität (Stichwort sell in may…). Doch die derzeit in den Medien verstärkt in den Blickpunkt rückende inverse Zinskurve ist unseres Erachtens nicht der passende Auslöser, um Risikopositionen in Portfolien deutlich zu reduzieren. Hierfür müss(t)en andere Daten bzw. Meldungen „auf den Tisch“.