Brexit – Hat der „Weihnachtsvertrag“ Auswirkungen an der Börse?

In den letzten Wochen wurden wir in der Abteilung Portfoliomanagement von unserer BA-Studentin Ria Steinhauser tatkräftig unterstützt. Unter anderem wurde der nachfolgende Blog-Beitrag von ihr recherchiert und verfasst, wofür wir ihr recht herzlich danken!

An Weihnachten des Jahres 2020 haben Brüssel und London ihre Freihandelsgespräche erfolgreich mit einem Handelsvertrag abgeschlossen – eine Woche, bevor die Übergangsfrist ausgelaufen wäre. Somit konnte Boris Johnson an Heiligabend der britischen Bevölkerung die Brexit-Bescherung verkünden: „The deal is done“. Dass der britische Premier das Ergebnis als großen – auch persönlichen – Erfolg verkaufte, vermag dabei kaum jemanden zu überraschen. Doch ist es tatsächlich ein Erfolg? Wir wollen zunächst die wichtigsten Ergebnisse des Abkommens zusammenfassen und anschließend beleuchten, wie die Börse an den ersten Handelswochen des Jahres 2021 reagierte.

Keine Zölle

Der entscheidendste Erfolg für beide Seiten ist sicherlich, dass mit dem Austritt Großbritanniens aus dem Binnenmarkt und der Zollunion erst einmal keine Zölle wiedereingeführt werden. Zudem konnten die Briten durchsetzen, dass der Europäische Gerichtshof (EUGH) – die oberste gerichtliche Instanz der EU – keine Rolle bei der Überwachung des Vertrags oder in Streitschlichtungsverfahren spielen wird. Zudem muss Großbritannien in Zukunft keine EU-Gesetze zu den Themen Umweltschutz, Arbeitnehmerrechte oder staatliche Beihilfen in nationales Recht übernehmen.

Jede Medaille hat jedoch zwei Seiten

Weicht Großbritannien künftig zu stark von den hohen EU-Standards ab, kann Brüssel den Wettbewerbsnachteil über Strafzölle ausgleichen. Ebenfalls musste London deutliche Abstriche bei den Fischereirechten machen. Jetzt werden die Fangquoten der EU-Fischer über einen mehr als fünfjährigen Zeitraum um ein Viertel gekürzt und nicht um mehr als die Hälfte, wie zunächst verlangt. Erst danach wird es die von der britischen Seite gewünschte jährliche Verhandlungen über die Fangmenge geben.

Andere Handelshürden und der Wirtschaftsbereich bleiben komplett außen vor

So fordert die EU die Einhaltung ihrer Produkt- und Sicherheitsstandards, welche bei bei der Einfuhr der Ware in die EU an den Grenzübergängen überprüft werden müssen. Dies hat die Grenzabwicklung bereits erheblich verzögert und bei britischen Exportfirmen zusätzliche Kosten verursacht. Auch der Dienstleistungssektor bleibt größtenteils ausgespart und für den Finanzsektor, die wichtigste britische Exportbrache, soll es eine Äquivalenzprüfung geben, über die allerdings erst in den kommenden Wochen entschieden wird. Ähnliches gilt für den freien Datenaustausch, der ohne Äquivalenzregel in spätestens einem halben Jahr deutlich eingeschränkt werden könnte. Der Transportsektor, sprich Luftunternehmen, Fahrgesellschaften oder Spediteure, muss dagegen keine Zugangsbeschränkungen befürchten.

Nun Butter bei die Fische: Wie reagiert die Börse?

Experten schätzen, dass rund 6 Millionen kleine und mittlere Unternehmen auf der Insel bereits mit den Konsequenzen des Brexits kämpfen. Als Beispiele sind Lieferschwierigkeiten, Kosten für Gesundheitszeugnisse oder die Masse an Exportpapieren zu nennen. Die ohnehin erwartete Rezession im Winterhalbjahr wird dadurch vermutlich tiefer ausfallen als bislang gedacht. Doch die Börse handelt bekanntlich die Zukunft und daher betrachten wir zunächst die Entwicklung der Währung. Damit dies besser in den „Brexit-Kontext“ eingebettet werden kann, wählen wir einen sechsjährigen Zeitraum, in welchem sowohl die Abstimmung im Juni 2016 als auch die Zeit der zähen Verhandlungen enthalten ist:

Sie sehen, nach der Abstimmung erlitt das britische Pfund starke Verluste gegenüber dem Euro, danach folgte eine mehrjährige langfristige Seitwärtsphase. Doch in den vergangenen Wochen scheint das britische Pfund aus dieser Seitwärtsphase nach unten „ausbrechen“ zu können, d.h. das britische Pfund gewinnt derzeit gegenüber dem Euro.

Das GBP legt kräftig zu, doch wie steht es mit britischen Aktien?

Um unser vorläufiges Urteil abschließen zu können, blicken wir noch auf die Entwicklung der Aktien und vergleichen hierfür den britischen Standardaktienindex FTSE-100 mit dem europäischen Leitindex EuroStoxx50. Unten sehen Sie den reinen Kursverlauf der beiden Indizes (Dividenden unberücksichtigt, FTSE-100 in orange) links im Zeitraum 5 Jahre, rechts in den vergangenen drei Monaten:

Der FTSE-100 kann die positive Entwicklung des Pfund nicht bestätigen. Im Zeitraum der vergangenen fünf Jahre war die Wertentwicklung eigentlich unterirdisch. Und auch wer eine sogenannte „Outperformance“ im Zuge eines Nachholeffektes durch das nun abgeschlossene Freihandelsabkommen erwartete, wurde bislang enttäuscht. Unser Fazit: Der „Brexit“ entfacht kein Feuerwerk an der Börse, Großbritannien drängt sich als Investitionsziel auf Ebene des Aktienindex weiterhin nicht auf.

Quellen: DZ BANK, guidants.com, Bloomberg